Artículo
Nikolaus-Bibliotheken. Zwei freunde von anna reuter und ihre bibliotheken
Fecha de publicación:
05/2017
Editorial:
Aschendorft Verlag
Revista:
Coincidentia
ISSN:
1869-9782
Idioma:
Alemán
Tipo de recurso:
Artículo publicado
Clasificación temática:
Resumen
Am 3. Dezember 1458 unterzeichnete Nikolaus von Kues die Stiftungsurkunde des St. Nikolaus Hospitals in Bernkastel-Kues. Das Hospital sollte ein Zufluchtsort für 33 arme alte Männer über 50 Jahren aus der Diözese Trier werden, „von ehrlichem Rufe, Berufe, Lebenswandel und Namen, Niemandem Dienst- oder Schuldpflichtig, freien Standes, nicht verheiratet; wenn verheiratet, nur für den Fall, dass ihre Frauen ins Kloster gehen, oder für ihren Lebensunterhalt der Hilfe ihrer Männer nicht bedürfen, oder so alt sind, dass nicht der Verdacht aufkommen kann, dass sie sich ihrer Männer entledigen wollen, und für den Fall, dass sie sich besser ohne ihre Männer durchbringen können.“1 Dabei besteht das Hospital bis heute aus Kapelle, Kreuzgang, Speisesaal und vielen Wohnzellen. In dem sechs Jahre später in Todi verfassten Testament bestimmte Nikolaus von Kues, dass dem Hospital auch seine persönliche Bibliothek zu übergeben sei. In diesem Sinne schrieb der Notar von Nikolaus, Peter von Erkelenz, am 6. August 1464, dass alle Bücher aus dem Besitz des Kardinals nach Kues überführt werden sollen. Die Bücher, die ihm nicht gehörten, sollten nicht etwa verkauft, sondern an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden. Im Testament bekräftigte Cusanus nochmals die Stiftung des Hospitals und bestimmte, dass seine Besitztümer dorthin gebracht werden sollten. Wie Kenner der geistigen Welt des Cusanus sagen, zeichnet sich die Bibliothek des Nikolaus von Kues – zumindest zu diesem Zeitpunkt – durch ihren gewissermaßen dynamischen Charakter aus. Die Codices der cusanischen Bibliothek reisten hin und her, wurden mit anderen Handschriften verglichen; sie wurden korrigiert, kommentiert und wiederum exzerpiert. Ein gutes Beispiel für diese Dynamik findet sich in Cod. Cus. 184, der die lateinische Übersetzung der Metaphysik des Aristoteles von Kardinal Bessarion aus dem Jahre 1453 enthält. Um diese Abschrift mit dem Original vergleichen zu können, lieh Cusanus den Autographen der Übersetzung kurzfristig aus, um danach Cod. Cus. 184 korrigieren zu lassen. Dementsprechend notiert Cusanus auf fol. 102v der Handschrift: „Istam translacionem fecit reverendissimus dominus cardinalis Nicenus que non posset esse melior, et feci corrigi librum ex originali de manu eiusdem domini cardinalis 1453“3 / „Diese Übersetzung fertigte der verehrte Herr Kardinal von Nicea: sie könnte nicht besser sein. Und ich ließ dieses Buch nach 1453 nach dem Original korrigieren, das von der Hand des Herrn Kardinals stammte.“ Concetta Bianca, die einige Aufsätze der Bibliothek des Cusanus gewidmet hat, teilt die Randbemerkungen des Nikolaus von Kues in den Codices in drei Kategorien ein: An erster Stelle nennt sie die Marginalien, die von Cusanus mit dem Terminus „nota“ eingeführt werden: Sie heben einen für ihn besonders wichtigen Satz hervor und erläutern ihn kurz. Zur zweiten Kategorie gehören Äußerungen, in denen Cusanus eigene Gedankengänge entwirft oder allgemeine Fragen hervorhebt, während die dritte Kategorie lediglich Textkorrekturen enthält.4 Aber nicht nur die Werke von Anderen werden von Cusanus in den Bänden seiner Bibliothek verbessert, sondern er ließ auch seine eigenen Werke von anderen Bearbeitern korrigieren. So enthält zum Beispiel die Abschrift der Cribatio Alcorani in Cod. Cus. 217 Korrekturen seines philologisch erfahrenen Sekretärs Giovanni Andrea Bussi, des späteren Bischofs von Aleria auf Corsica, der anscheinend sein Lieblingsschreiber war.5 Die Sammlung der Kueser Bibliothek beinhaltet Werke zu verschiedensten Themen; nicht nur zu Philosophie und Theologie, sondern ebenso auch zu Zivil- und Kirchenrecht, Astronomie, Geographie, Mathematik, Geschichte, Grammatik, usw.6 Dabei zeigt sich eine gewisse Vorliebe für alte Handschriften – unter der Voraussetzung, dass sie nicht nur als Codices vetustissimi gelten, sondern auch die Codices optimi darstellen. Wie es für einen Mann priscarum litterarum eruditissimus typisch ist,7 hat Nikolaus seine Bibliothek bei seiner Übersiedlung nach Rom mitgebracht. Sie muss schon damals sehr beeindruckend gewesen sein, obwohl die Codices, die später in Rom erworben wurden, noch fehlten. Ein Inventar seines Nachlasses, das am 9. November 1464 – also drei Monate nach dem Tod des Cusanus – in Vicenza erstellt wurde, weist 167 Bände aus. Offensichtlich ist dieses Inventar aber unvollständig. Tatsächlich werden heute noch mehr als 300 Handschriften im St. Nikolaus-Hospital aufbewahrt, von denen 270 Codices – nach Jacob Marx in seinem 1905 fertiggestellten Verzeichnis der Handschriften-Sammlung des Hospitals zu Cues bei Bernkastel – noch aus dem Besitz des Cusanus stammen sollen. Allerdings fanden nicht alle Handschriften aus der Bibliothek des Kardinals ihren Weg an die Mosel. Manche Werke, die einstmals zur Bibliothek des Nikolaus von Kues gehörten, sind im Hospital in Kues nie angekommen. Dazu gehört Codex B 21 der Seminarbibliothek des bischöflichen Priesterseminars in Brixen, der einige alchimistische Werke enthält, die von Cusanus selbst mit vielen Anmerkungen versehen wurden. Allerdings hatten nicht alle Handschriften, die nach Kues kamen, das Glück dort auf Dauer zu bleiben. Tatsächlich gingen der Bibliothek nach dem Tode des Kardinals nicht wenige Bände verloren. Klaus Reinhardt wies auf eine unglückliche Ausleihe hin, die der damalige Rektor der Bibliothek, Adam Engers, im Jahre 1532 genehmigte. Sie betrifft eine Handschrift mit dem pseudolullianischen Testamentum und dem Codicilllus von Ramon Llull.. Der Codex mit der Signatur UK XXIII D 132 (ehemals Cod. Lobkowitz 249), der bedeutende Marginalien des Cusanus enthält, gehört heute der Universitätsbibliothek von Prag.8 Zu den größten Verlusten kam es jedoch zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Robert und Eward Harley eine große Anzahl wertvoller Handschriften zu einem geringen Preis aus dem St. Nikolaus-Hospital in Kues erwerben konnten. Die Mehrzahl der verkauften Handschriften gelangte in die Bibliotheca Harleiana, die heute Teil der Britisch Library in London ist.9 Bereits 1983 verzeichnete Concetta Bianca in ihrem Beitrag über die römische Bibliothek des Cusanus zahlreiche weitere Bände aus dem ehemaligen Besitz des Kardinals. So finden sich noch 14 Handschriften, in der königlichen Bibliothek zu Brüssel, 48 in der Britisch Library, dann 3 weitere Bände in der Bodleiana in Oxford, sowie je ein Band in der Nationalbibliothek zu Paris und in den Bibliotheken von Straßburg, Brixen und Volterra.10 Immerhin haben andere, später erworbene Codices – allerdings zum größten Teil mit liturgischen Texten – diese Verluste zumindest teilweise ausgeglichen. Gegenwärtig zählt die Kueser Bibliothek 316 Handschriften sowie ca. 90 Inkunabelbände mit über 100 einzelnen Wiegendrucken, von denen tatsächlich nur zwei aus der Lebenszeit des Cusanus stammen.11 Soweit kurz zu einigen Aspekten der Bibliothek des Nikolaus von Kues. Diese Bibliothek steht für mich aber unwillkürlich mit einer zweiten Bibliothek in engster Verbindung: Sie gehörte nicht dem Nikolaus, der in Kues an der Mosel geboren wurde, sondern einem anderen ‚Nikolaus‘ oder vielmehr Klaus – handelt es sich dabei doch um eine Kurzform des Namens ‚Nikolaus‘, wie dieser selbst mir bei einem Ausflug nach Colmar erklärte – der in der kleinen Stadt Haslach im Kinzigtal (Schwarzwald), rund 40 Kilometer von Freiburg im Breisgau entfernt, geboren wurde. Auch diesem ‚Nikolaus‘ und seiner Bibliothek, also meinem Lehrer und Freund Klaus Reinhardt und seinen Büchern, möchte ich einige Zeilen widmen. Klaus Reinhardt (1935-2014) war einer der herausragendsten Vertreter der philosophischen Mediävistik der letzten Jahrzehnte. Er studierte von 1953 bis 1957 katholische Theologie und Philosophie an den Universitäten Freiburg im Breisgau und München. Am 18. Mai 1958 erhielt er in Freiburg die Priesterweihe. In Freiburg wurde er 1963 mit einer Dissertation: Pedro Luis SJ (1538-1602) und sein Verständnis der Kontingnez, Praescienz und Prädestination. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des Molinismus (Münster 1965) zum Doktor der Theologie promoviert. Zwischen 1963 und 1969 war er Assistent am Lehrstuhl für dogmatische Theologie bei Friedrich Stegmüller, wo er sich 1968 mit der Arbeit Der dogmatische Schriftgebrauch in der katholischen und protestantischen Christologie von der Aufklärung bis zur Gegenwart (Paderborn 1970) habilitierte. Am 1. April 1969 wurde er ordentlicher Professor für dogmatische Theologie an der Universität Trier, wo er bis 2003 lehrte. Die ersten Jahre seiner akademischen Karriere widmete Klaus Reinhardt der Erfassung der kodikologischen Grundlage der BibelGeschichte. Unter seinen zahlreichen Beiträgen ist besonders seine Mitarbeit (ab 1968) am Repertorium biblicum Medii Aevi von Friedrich Stegmüller und die Herausgabe der letzten vier Bände (VIII–XI) hervorzuheben. Ähnlich verdienstvoll war die Zusammenarbeit mit Santiago-Otero an den Verzeichnissen der Biblioteca bíblica ibérica medieval (1976-1999) sowie das Mitwirken am Katalog der biblischen Codices der Kathedrale von Toledo, den er 1990 zusammen mit Ramón Gonzálvez Ruiz veröffentlichte. Aufgrund dieser außerordentlichen Leistung wurde Klaus Reinhardt zum Ehrenmitglied der Königlichen Akademie von Toledo und der Portugiesischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Mitte der 80iger Jahre wandte sich Klaus Reinhardt dem Werk unseres ersten Nikolaus zu, dem Werk des Nikolaus von Kues. 1990 wurde er in den Wissenschaftlichen Beirat der Cusanus-Gesellschaft aufgenommen. Am 15. April 1993 übernahm er zusammen mit dem Philosophen Klaus Kremer die Leitung des Instituts für CusanusForschung, das vom 1. Juli 2000 bis zum 31. März 2007 von ihm alleine geleitet wurde. Zwischen 1993 und 2004 leitete er darüber hinaus die Trierer Arbeitsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für die textkritische Edition der Predigten des Nikolaus von Kues. Sein Beitrag zur philosophischen Mediävistik beschränkte sich allerdings nicht nur auf die eigene Forschungen, vielmehr hat Klaus Reinhardt auch junge Forscher akademisch gefördert und auch finanziell unterstützt. Die von Satoshi Oide und ihm zur finanziellen Unterstützung des Instituts für Cusanus Forschung gegründete Satoshi-Oide Stiftung, der er immer wieder neue Impulse gab, wurde von ihm lange Jahre geleitet. Dabei hat er aber nicht nur deutsche Institutionen unterstützt. So leitete er u. a. die Kooperation des Instituts für Cusanusforschung mit der Équipe de recherche sur les mystiques rhénans unter der Leitung von MarieAnne Vannier an der Universität Metz ein. Darüber hinaus soll an dieser Stelle auch ganz besonders an das Zusammenwirken mit dem Circulo de Estudios Cusanus in Buenos Aires erinnert werden, wodurch – und hierauf soll dankbar hingewiesen werden – ich selbst die Ehre hatte, die beiden Nikoläuse kennenzulernen. Im Zuge seiner Arbeiten hatte Klaus Reinhardt eine großartige Privatbibliothek aufgebaut, die insgesamt 5.975 Bände aufweist. Als Beispiel sei hier nur die vollständige Reihe des Corpus Christianorum genannt, d. h. die Sammlung der christlichen Literatur von der Spätantike bis Ende des Mittelalters, bestehend aus der 200-bändigen Serie Latina (CCSL) und den 316 Bänden der Continuatio Mediaevalis (CCCM), die die Werke der christlichen Autoren von der karolingischen Periode bis zum Ende des Mittelalters enthält. Zu dieser letzten Serie hat Klaus Reinhardt gegen Ende seines Lebens mit der kritischen Edition des IsaiasKommentars von Andreas von St. Viktor selbst beigetragen. Am 8. April 2914 ist Klaus Reinhardt in seiner geliebten Stadt Trier gestorben. In seinem Testament hat er mir seine gesamte wissenschaftliche Bibliothek vererbt sowie seine eigenen wissenschaftlichen Arbeiten, gesammelt in 292 Mappen, die verschiedenste Dokumente und Notizen enthalten. Durch diese Großzügigkeit entfaltet sich nun das geistige Bemühen von Klaus Reinhardt jenseits seines eigenen Lebens. Dabei stellt im Besonderen seine exquisite Bibliothek ein wertvolles Instrument zur Erforschung der Geistesgeschichte des Mittelalters in Argentinien dar. Mit der Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes e.V. (DAAD), der die Überführungskosten bezuschusste, und des Nationalen Rats für wissenschaftliche und technologische Forschung (CONICET), der die Zollabfertigungskosten übernahm, ist die Bibliothek im Februar 2016 in Buenos Aires angekommen. Seitdem bildet die Sammlung von Klaus Reinhardt den wichtigsten Teil der Bibliothek des multidisziplinären Instituts für Geschichte und Humanwissenschaften (IMHICIHU), wo sie allen Nutzern zur Verfügung steht. Wie der Bibliothek des Cusanus, war auch der Bibliothek von Klaus Reinhardt eine lange Reise bestimmt. Die erste Bibliothek hatte diese Reise über die Alpen genommen, während nun die Bibliothek des zweiten Nikolauses über den Atlantik transportiert wurde Beide Bibliotheken sind aber auch mit dem Geburtshaus des Nikolaus von Kues verbunden, und zwardurch dessen langjährige Kustodin, Anna Reuter, einer Freundin beider Bibliotheksherren, des Nikolaus von der Mosel und des Nikolaus aus dem Schwarzwald, der über den Gelehrten von der Mosel nachdachte.
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Citación
Rusconi, Maria Cecilia; Nikolaus-Bibliotheken. Zwei freunde von anna reuter und ihre bibliotheken; Aschendorft Verlag; Coincidentia; 2017; 8; 5-2017; 245-252
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